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Stellungnahme zum Referentenentwurf Grundsicherung

SoVD-Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze (13. SGB II ÄndG)

1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs 

Beim vorliegenden Referentenentwurf handelt es sich um eine weitreichende Reform des SGB II und weiterer Sozialgesetzbücher. Folgende Anpassungen sind u.a. vorgesehen: 

1. Stärkeres Fordern: Pflichten steigen 

  • Stärkere Verpflichtung zur Vollzeitarbeit.
  • Erziehende sollen bereits ab dem 1. Geburtstag des Kindes in Arbeit vermittelt werden oder an Maßnahmen teilnehmen. 

2. Vorrang der schnellen Vermittlung 

  • Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung bekommt einen klaren gesetzlichen Vorrang vor anderen Förderinstrumenten. Ausnahmen von dieser Regelung sind insbesondere für U30-Jährige vorgesehen. 

3. Kooperationsplan wird verbindlicher 

  • Wer nicht mitwirkt, kann schneller per Verwaltungsakt dazu verpflichtet werden.
  • Schlichtungsverfahren entfällt.  
  • Bedarfe von Menschen mit Behinderungen sollen stärker berücksichtigt werden. 

4. Leistungsminderungen werden verschärft 

  • Sanktionen bei Pflichtverletzungen werden erhöht und vereinheitlicht.
  • Drei Meldeversäumnisse trotz schriftlicher Belehrung über die Folgen führen zu einem Leistungsentzug des Regelbedarfs.
  • Einführung einer Arbeitsverweigerer-Regelung mit vollständigem Entfall des Regelbedarfs ab der ersten Pflichtverletzung.
  • Schutzmechanismen für Menschen mit psychischen Erkrankungen werden ausgebaut. 

5. Vermögen 

  • Karenzzeit beim Vermögen im SGB II entfällt.
  • Neues altersgestaffeltes Schonvermögen im SGB II (5.000–20.000 Euro). 

6. Kosten der Unterkunft und Heizung 

  • Unterkunftskosten werden stärker gedeckelt, auch in der Karenzzeit.
  • Mietpreisbrems-Verstöße müssen von Leistungsberechtigten künftig beim Vermieter gerügt werden. 

7. Bekämpfung von Missbrauch & Schwarzarbeit 

  • Jobcenter müssen Hinweise auf Schwarzarbeit oder Mindestlohnverstöße an die Zollbehörden melden.

8. Förderung & Integration 

  • Verbesserter Zugang zu § 16e (Förderung für Langzeitleistungsbeziehende).
  • Ausbau einer ganzheitlichen Beratung für junge Menschen im SGB III.
  • Stärkere rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit (Jugendberufsagenturen).
  • Förderung für „schwer zu erreichende junge Menschen“ wird präzisiert. 

2 Gesamtbewertung 

Im Referentenentwurf wird auf Seite eins betont, ein starker Sozialstaat brauche „klare, durchsetzbare Regeln und die Mitwirkungsbereitschaft aller erwerbsfähigen Menschen, die Sozialleistungen beziehen“. Gleichzeitig wird wenige Seiten später ausgeführt, „dass die meisten Menschen im Integrationsprozess mitwirken und den Leistungsbezug (…) so schnell wie möglich wieder beenden wollen“ (Seite 3). Für den Sozialverband Deutschland (SoVD) steht außer Frage, dass es Sozialstaatsleistungen nicht bedingungslos geben kann, die Mitwirkung zur Überwindung der Hilfsbedürftigkeit daher auch eingefordert werden können muss und Sozialleistungsbetrug - ganz egal, von wem er ausgeht - geahndet werden muss. Dennoch zeigt sich im Referentenentwurf ein deutlicher Widerspruch: Wenn der Großteil der Leistungsberechtigten mitwirkt, wozu dann eine umfassende Reform, die vor allem auf die Durchsetzbarkeit von Regeln zielt? 

Es scheint, als ginge es bei der Reform vordergründig nicht nur darum, das Mindestsicherungssystem allein für diejenigen zu gestalten, die darauf angewiesen sind, oder Arbeitssuchende nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Reform soll offenbar auch Menschen ansprechen, die trotz harter Arbeit kaum mehr haben als die Grundsicherungsempfangenden selbst und bei denen das Gefühl von sozialer Ungerechtigkeit immer größer wird. Aber genau darin liegt das Problem: Diese Reform gibt keine Antwort auf eine zentrale Frage, die endlich beantwortet werden muss. Nämlich, wie wir sicherstellen können, dass Arbeit sich lohnt, wie Haushalte mit niedrigen Einkommen künftig besser entlastet werden können und das Gefühl von sozialer Gerechtigkeit wieder dorthin zurückkehren kann, wo viel geleistet wird. 

Eine Reform, die primär auf Sanktionen bis hin zur Regelsatzstreichung setzt, erzeugt vor allem Angst bei ärmeren und chronisch kranken Menschen. Sie hilft auch nicht den Menschen, die knapp über der Grundsicherungsschwelle leben. Die Ursache von sozialer Ungerechtigkeit ist aktuell vor allem die wachsende Kluft zwischen denen, die trotz harter Arbeit kaum über die Runden kommen, und denen, die über erhebliche Vermögen verfügen. 3.900 Menschen besitzen in Deutschland fast ein Drittel des gesamten Finanzvermögens. Und sie tragen nur noch halb so hohe Abgabensätze wie die Mitte der Gesellschaft. Das Aussetzen der Vermögenssteuer kostet den Staat jährlich rund 20 Milliarden Euro. Es braucht also nicht nur Entlastung bei Menschen mit niedrigen Einkommen, z.B. durch einen armutsfesten Mindestlohn und wirksame Regelungen für bezahlbares Wohnen, es braucht vor allem eine Wiedererhebung der Vermögenssteuer und eine Erbschaftssteuerreform. Auch der Spitzensteuersatz muss aus Sicht des SoVD auf 53 Prozent angehoben werden, damit die hohe soziale Ungleichheit abgebaut werden kann. 

Wenn Politik dauerhaft verhindern will, dass sich immer mehr Menschen abgehängt fühlen und extremen Kräften zuwenden, muss sie Antworten geben, die tatsächlich bei den Lebensrealitäten der Bevölkerung ansetzen. Ein Sozialstaat, der nicht spaltet, sondern zusammenführt - der Chancen verbessert, statt Druck zu erhöhen – ist die Voraussetzung dafür, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt wieder wachsen kann. Ein besserer Schutz vor Sozialleistungsbetrug und verschärfte Mitwirkungspflichten spielen angesichts dieser großen Linien allenfalls eine nachgeordnete Rolle. 

Schließlich werden sich auch die geschürten Erwartungen zu großen Einsparungen im Sozialetat mit der geplanten Reform nicht erfüllen lassen, denn da, wo das Existenzminimum verfassungsrechtlich geschützt ist, sind spürbare Kürzungen – zu Recht – nahezu unmöglich. 

Zu den einzelnen Regelungen

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