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Nachbericht zur Zoom-Veranstaltung "Triage-Situationen diskriminierungsfrei gestalten" am 17. Januar

Aktuelles

Der Bremer Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein griff das Thema der Triage bundesweit auf. Er lud zu einer Zoom-Veranstaltung ein, die von mehr als 400 Personen besucht wurde.

Arne Frankenstein sitzt im Rollstuhl vor den Arkaden des Bremer Rathauses
Foto: Tristan Vankann / fotoetage

Mehr als 400 Personen aus ganz Deutschland nahmen am 17. Januar am Online-Meeting teil. Arne Frankenstein war es ein Anliegen, das drängende Thema der Triage erneut aufzugreifen. Beteiligt haben sich unter anderem Nancy Poser (Beschwerdeführerin Bundesverfassungsgericht), Prof. Dr. Oliver Tolmein (Kanzlei Menschen und Rechte) sowie die Mitglieder des Bundestags Corinna Rüffer (Die Grünen), Jens Beeck (FDP) und Hubert Hüppe (CDU). 

Die Grundsituation erläuterte der Bremer Landesbehindertenbeauftragte auf seiner Homepage:

Angesichts der andauernden Pandemie und der Überlastung des Gesundheitswesens betrachten behinderte Menschen mit Sorge, dass das Höchstmaß an diskriminierungsfreier gesundheitlicher Versorgung für sie beeinträchtigt sein könnte. Nicht mehr ausgeschlossen erscheint gegenwärtig sogar, dass über die Bereitstellung intensivmedizinischer Versorgung im Rahmen einer Auswahl entschieden werden muss (Triage). Die Debatte darüber, wie eine Auswahl aus medizinischer und ethischer Sicht getroffen werden kann und wie ein Verfahren zur Durchführung in den Krankenhäusern aussehen kann, wurde in Deutschland durch Empfehlungen der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) angestoßen. Die Empfehlungen haben zu erheblicher Kritik und letztlich zu einer Klage behinderter Menschen gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers vor dem Bundesverfassungsgericht geführt.

Vor kurzem wurden die Empfehlungen aktualisiert. Es findet sich darin der Satz, dass eine Priorisierung aufgrund einer Vorerkrankung oder Behinderung nicht zulässig sei. Vorerkrankungen seien nur dann relevant, wenn sie die Überlebenswahrscheinlichkeit hinsichtlich der aktuellen Erkrankung beeinflussen könnten. Konkret werden nun beispielhaft Erkrankungsstadien des Herzens, der Niere oder der Leber aufgezählt. Demzufolge solche, die üblicherweise zu Behinderungen führen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Untätigkeit des Gesetzgebers in einem am 28. Dezember 2021 veröffentlichten Beschluss einen Verstoß gegen das besondere Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz) gesehen und den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich wirksame Vorkehrungen zu treffen, um behinderte Menschen in einer pandemiebedingten Triage nicht zu benachteiligen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Empfehlungen der DIVI nicht ausreichen, da sie zu einem Einfallstor für die Benachteiligung behinderter Menschen werden können, indem Behinderungen stereotyp mit schlechten Genesungsaussichten verbunden werden.

Zur Veranstaltung: Zusammenfassung, Aussagen und Fazite

Jessica Schröder von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) erstellte eine Zusammenfassung der zweistündigen Veranstaltung. Aussagen und Fazite wie von der Moderatorin Sigrid Arnade, NETZWERK ARTIKEL 3, Franziska Witzmann und Theresia Degener vom Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) sowie des Bremer Landesbehindertenbeauftragten sind auf der Homepage einsehbar.

Das Resümee von Arne Frankenstein: "Von dieser Veranstaltung geht ein eindeutiges Signal aus: es gibt Lösungen, um Triage-Situationen diskriminierungsfrei zu gestalten. Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat hierzu einen Vorschlag vorgelegt, der ein gestuftes Prüfverfahren vorsieht. Dabei eröffnet der Vorschlag die Möglichkeit, auch andere Benachteiligungsrisiken auszuschließen. Hieran werden sich andere Lösungsvorschläge messen lassen müssen. Behinderte Menschen haben die vergangenen zwei Jahre genutzt, um ihre Perspektive auf eine der schwierigsten gesellschaftlichen Fragen zu schärfen. Nun ist es an den Abgeordneten des Deutschen Bundestags ihre Willensbildung auf Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zügig fortzusetzen. Hierfür sollten sie dringend von Beginn an die Perspektive behinderter Menschen aktiv einbeziehen. Ihnen lediglich das Recht einzuräumen, in einem Gesetzgebungsverfahren formal Stellung zu beziehen, greift zu kurz. Die Veranstaltung hat gezeigt: ihre Perspektive auf das Thema ist so zentral, dass sie von Anfang an beteiligt werden müssen. Diesen Geist atmet auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts."

Vielfältige Informationen zur Veranstaltung im Netz

Alle Infos über den Ablauf, einen Audio-Mitschnitt, das Transkript, die Zusammenfassung und Statements sowie ein Radio-Interview mit Arne Frankenstein findet man auf der Veranstaltungsseite des Landesbehindertenbeauftragten:

https://www.behindertenbeauftragter.bremen.de/oeffentlichkeit/tagungen-und-veranstaltungen/allgemeine-tagungen-und-veranstaltungen/triage-situationen-diskriminierungsfrei-gestalten-35141