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Viele sprechen mittlerweile von Pflegenotstand, von der Überforderung pflegender Angehöriger und von einem gravierenden Zeitmangel bei der Pflege. Um sich darüber auszutauschen und Lösungsansätze zu diskutieren, fand Mitte Oktober in Bremen eine Podiumsdiskussion zum Thema „Wie kann Pflege besser werden?“ statt. Eingeladen hatte der SoVD-Landesverband Bremen, die Seniorenvertretung Bremen sowie DER PARITÄTISCHE Bremen. Rund 50 sachkundige Gäste, auch aus Verwaltung, Wirtschaft und Politik, besuchten die Veranstaltung in den Räumen des Paritätischen Bremen. Matthias Veit, Landespressesprecher des SoVD-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, führte souverän, kompetent und mit einer Prise Humor durch den Vormittag.

Die Krise in der Pflege war absehbar

„Die Krise in der Pflege war seit zwanzig Jahren absehbar“, erläuterte Alexander Künzel, Senior-Vorstand der Bremer Heimstiftung und einer der drei Redner auf dem Podium. „Das Standardpflegemodell lautete: Je billiger, desto besser!“ Pflegeinstitutionen hätten dem Druck nicht standhalten können, schlimmer noch sei es in den Krankenhäusern gewesen. „Gerade hier wurde ohne Gnade rasiert“, so Künzel. Sein Fazit „Jetzt sitzen wir in der Bredouille, die wir selbst angerichtet haben.“

In seinem Statement, das die Frage der Personalgewinnung zum Thema hatte, entwarf er die Vision einer generalistischen Pflegeausbildung, die auf allen Ebenen durchlässig sei. Künzel kann sich einen „Gesundheitscampus“, der an der Hochschule angesiedelt ist, vorstellen. „In Bremen sind Gestaltungschancen vorhanden“, sagte er. Anzustreben sei dafür allerdings die Entlohnung zum Sozialtarif, die für alle beteiligten Institutionen bindend sei. Künzel kritisierte die Kommerzialisierung des Pflegebereichs deutlich: „Pflege und Krankenhaus sind Produkte geworden, die der Markt ergreifen konnte.“

Pflegefehler und Gewalt ausschließen

Im folgenden Kurzvortrag von Klaus Möhle, SoVD-Kreisvorsitzender in Bremen, ging es um Rechte und Selbstbestimmung von HeimbewohnerInnen. „Bestenfalls sollte man keine Angst haben vor der Frage, Altenheim ja oder nein“, sagte Möhle. Als Mitglied der SPD-Bürgerschaftsfraktion und Sprecher für Sozialpolitik erzürnt es ihn, dass in einigen Bremer Einrichtungen Pflegefehler und Gewalt zum Alltag gehören. Er forderte, die betreffenden Institutionen zu schließen. „Der Staat hat eine hohe Verantwortung, was die Kontrolle angeht.“ Er sieht Personalschlüssel, die akzeptabel sind, als eine Lösung. „Die Gesell-schaft muss sich im Klaren werden, dass es gute Pflege nicht zum Billigtarif gibt!“ Möhle plädierte dafür, dass sich Altenheime weiter öffnen, zum Beispiel mit Mittagstischangeboten für den Stadtteil. „Eine Zukunftsaufgabe!“

Pflegende Angehörige stärken

Rainer Bensch, Mitglied der CDU-Bürgerschaftsfraktion und Sprecher für Gesundheit und Krankenhäuser, sprach in dem folgenden Statement „Pflegende Angehörige entlasten“ über eigene Erfahrung als pflegender Angehöriger einer demenzkranken Frau in den 1980er Jahren, in der es noch keine Pflegeversicherung gab. „Die Familie, Nachbarn, alle waren bereit“, erzählte er. Die Anleitung übernahm damals die Gemeindeschwester. Pflege heute sähe anders aus: Pflegende Angehörige verzichteten auf einen Teil ihres Einkommens, auf Freundschaften und die Teilhabe an der Gesellschaft, sagte Bensch. Der ehemalige Zeit-soldat und heutige Diplom-Pflegewirt berichtete begeistert von Projekten wie die organisierte Nachbarschaftshilfe „Seniorenguthaben“. Zudem forderte er eine Umorientierung der Institutionen im Umgang mit pflegenden Angehörigen. „Man kann jedes Schicksal ertragen, aber nicht bürokratische Ignoranz“, zitierte Bensch einen pflegenden Angehörigen.

Lösungsvorschläge, um die Pflege zu verbessern

Im Anschluss beantworteten die Referenten Fragen aus dem Publikum. Von respektlosem Umgang mit pflegenden Angehörigen, überfüllten Notaufnahmen und Pflegefehlern war zu hören. Im Gespräch trugen Referenten und Publikum Anregungen zusammen, die an der derzeitigen Situation etwas ändern könnten.

Dazu zählten zum Beispiel: „Der Ausbau von Tagespflege ist so wichtig wie die der Kitas und bringt eine deutliche Entspannung“, „Lotsen durch den Behördendschungel für pflegende Angehörige installieren“, „Beratungsleistungen der Pflegedienste für pflegende Angehörige aufstocken“, „Die ambulante Versorgung weiter ausbauen“, „Schwarze Schafe innerhalb der Belegschaft eines Pflegedienstes anzeigen“, „Die Rufnummer 116 bzw. 117 des ärztlichen Bereitschaftsdienstes bei Schwierigkeiten wählen“, „Kultursensible Angebote installieren“, „Nachbarschaftshilfe und Seniorenhilfe miteinander vernetzen“, „Inklusion von Menschen mit Demenz fördern“, „Mitspracherechte von dementen Heimbewohnern sichern“, „Einen sicheren, aber gleichzeitig großzügigen `Demenzgarten´ aufbauen“, „Den Pflegeberuf für junge Menschen als Beruf mit Sinn attraktiv machen“, „Niedrigschwellige Helferausbildungen mit Sprachanteil für Menschen mit Migrationshintergrund einrichten, auf die Interessierte aufbauen können“, „Einen Dachverband aller Pflegeberufe gründen, in dem alle an einem Strang ziehen“, „Struktur der Pflegeversicherung grundsätzlich ändern“, „Den Personalschlüssel in Altenheimen an der Art der Beeinträchtigungen, nicht an der Anzahl der zu Pflegenden orientieren“, „Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung zurück-drängen“, „Wildwuchs durch Kommerzialisierung Einhalt gebieten“, „Statt kirchliche Pflegebetriebe zu privatisieren, in Stiftungen überführen“ und vorsorglich „In guten Zeiten mit den Kindern und nahen Angehörigen Vorbereitungen treffen.“

Resümee der Veranstalter

Als Resümee der Veranstalter könnte der Diskussionsbeitrag von Joachim Wittrien, dem 1. Vorsitzenden des SoVD-Landesverbands Bremen, gelten: „Das Thema Pflege ist allge-genwärtig. Unsere Aufgabe ist es, es in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und gemeinsam daran weiterzuarbeiten.“ Eindringliche Worte an die Politik fand Klaus Möhle: „Wir müssen die Diskussion um Pflege als gesamtgesellschaftlich wichtig ansehen, sie darf nicht im Parteiengezänk untergehen.“

Resonanz der Gäste

„Kompakt und zielführend“, lautete die Resonanz der Gäste zur Podiumsdiskussion. Mehrere Besucher wünschten sich Folgeveranstaltungen, zum Beispiel zum Thema „Wohnraummangel“. Joachim Wittrien will dies gern weiterverfolgen. „Es ist wichtig, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger aufzuzeigen und Politikern bei der Umsetzung den Rücken zu stärken!“ Sein besonderer Dank gilt seinen Mitstreitern, Wolfgang Luz als Vorstandsvorsitzender des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Landesverband Bremen e. V., und Dr. Andreas Weichelt, Vorsitzender der Seniorenvertretung Bremen.

Impressionen von der Podiumsdiskussion